Chemikalienstrategie hängt: Nur eins von 13 Zielen umgesetzt

Eine Übernahme der EU-Umweltnews des DNR.

Die EU hinkt ihren Verpflichtungen aus der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit und dem Ziel, die Exposition der Menschen gegenüber gefährlichen Chemikalien „deutlich zu reduzieren“ erheblich hinterher, so das EEB. Vier Jahre nach der Veröffentlichung der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS) und kurz vor den EU-Wahlen ist lediglich eine der 13 in der CSS genannten zentralen Zielvorgaben vollständig umgesetzt.

Der am 23. April veröffentlichte Untersuchungsbericht "From Risk to Resilience: Navigating Towards a Toxic-Free Future" umfasst die EU-Chemikalienverordnung REACH, die CLP-Verordnung (Verpackung von Stoffen), das Paket „Ein Stoff, eine Bewertung“ und Initiativen wie das Konzept der wesentlichen Verwendungszwecke (Essential Use Concept, EUC – siehe EU-News 26.04.2024) und den allgemeinen Ansatz für das Risikomanagement (Generic Approach to Risk Management, GARM).

Angrenzende Pläne zu per- und polyfluorierten Chemikalien (PFAS) und Umwelthormonen (endokrine Disruptoren), dem Null-Schadstoff- und dem Kreislaufwirtschaftsaktionsplan werden ebenfalls berücksichtigt. Genauso wie sektorale Rechtsvorschriften mit Bestimmungen zur Kontrolle chemischer Stoffe, zum Beispiel die Richtlinie über Industrieemissionen und die Verordnung über die umweltgerechte Gestaltung nachhaltiger Produkte.

Wichtigste Ergebnisse des Berichts:

  • Die Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) weist nach wie vor erhebliche Mängel auf, so das EEB. Die Chemieunternehmen lieferten den Regulierungsbehörden in den meisten Fällen unzuverlässige Gefahrendaten. Da es keine strengen Durchsetzungsmechanismen gebe, würden nur selten Verstöße festgestellt und die Chemieunternehmen blieben straffrei. Das EEB kam zu dem Schluss, dass die Behörden, die nachgeschalteten Hersteller und die Verbraucher ohne die Ergreifung dringend notwendiger Maßnahmen weiter „überwiegend blind für die Risiken“ bleiben würden, die von den meisten heute und in den kommenden Jahren verwendeten Chemikalien ausgehen.

  • Die von Chemikalien ausgehenden Risiken für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt werden von Behörden, Produktherstellern und Verbraucher*innen häufig unterschätzt, weil die zur Verfügung gestellten Informationen unzureichend sind und die Regulierungsbehörden zu spät reagieren. Im Gegenzug mangele es an Bewusstsein für die tatsächlichen Kosten, die die Untätigkeit im Hinblick auf chemische Bedrohungen mit sich bringen.

  • Der einzige Bereich, in dem bemerkenswerte Fortschritte zu verzeichnen seien, ist die Verbesserung der jahrzehntealten Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung (CLP), die den Weg für neue Verbote gefährlicher Chemikalien ebne. [Das EU-Parlament hat am 23. April die CLP-Verordnung angenommen.]

PFAS: Fallstudie zeigt „beunruhigendes Maß an Unwissenheit“ und Lücken in der Durchsetzung

Der EEB-Bericht enthält auch eine Fallstudie zu PFAS, die eine Reihe bekannter Probleme veranschaulicht, die einen wirksamen Schutz von Chemikalien nach wie vor behindern: Von der Verbreitung einer Vielzahl von Chemikalien und diverser Stoffgruppen, die die behördliche Aufsicht übersteigt, bis hin zu einem „erschreckenden Mangel an Unternehmensintegrität“. Darüber hinaus zeige die Fallstudie „erhebliche Lücken in der Durchsetzung“ und ein „beunruhigendes Maß an Unwissenheit bei den nachgeschalteten Anwendern von Chemikalien“. Das Versäumnis, die Verschmutzung durch PFAS wirksam zu kontrollieren, berge nicht nur direkte Gesundheitsrisiken, sondern verdeutliche auch allgemeinere Schwierigkeiten beim Umgang mit chemischen Risiken in Europa. Es seien „dringend weitere Anstrengungen erforderlich, um die Auswirkungen schädlicher Stoffe auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verringern“ und Chemikalien sicher und nachhaltig zu machen (siehe auch Agentureinschätzung).

PFAS in Umwelt und Trinkwasser - und als Thema im Deutschen Bundestag

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) haben sich besorgt über die zunehmende Produktion und Verwendung sogenannter Ewigkeits-Chemikalien durch die Industrie geäußert. Insbesondere die hohe Belastung mit Per- und Polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) von der Umwelt bis hin zu Lebensmitteln beunruhigt die Verbände, die ein Verbot fordern. Eine aktuelle BUND-Studie zur Belastung von Mineral- und Leitungswasser zeige, wie weit verbreitet die Ewigkeits-Chemikalien auch im Wasser bereits sind. So wurde im Leitungswasser des Europaparlaments in Brüssel die höchste PFAS-Konzentration mit 1.100 Nanogramm pro Liter (ng/L) Trifluoressigsäure gemessen. In Berlin seien in der Testreihe die meisten Ewigkeits-Chemikalien gefunden worden: Trifluoressigsäure, Melamin und mehrere Benzotriazol-Verbindungen. Gesundheitliche Leitwerte wurden zwar in keiner Probe überschritten. BUND und BDEW fordern dennoch eine bessere Regelung des Chemikalienrechtes auf EU-Ebene.

"In der jetzigen Legislatur wurden mit dem EU-Green Deal wichtige Ziele, wie das ‚Null-Schadstoff-Ziel‘ definiert. Dieses Ziel muss eine PFAS-Beschränkung nach sich ziehen. Ursula von der Leyen steht in der Pflicht, Worten Taten folgen zu lassen. Eine schnelle und bessere Regulierung von Schadstoffen ist dringend erforderlich“, so die beiden Verbände. Außerdem müssten angesichts der PFAS-Verschmutzung auch die Hersteller sowohl in der Chemieindustrie wie auch im Handel in die Pflicht genommen werden: „Diejenigen, die Schadstoffe in die Umwelt einbringen, müssen zahlen.“  Eine Lizenz zur Verschmutzung könne es nicht geben.

Anlässlich einer Anhörung im Deutschen Bundestag am 24. April über PFAS haben neun zivilgesellschaftliche Organisationen aus den Bereichen Umwelt-, Gesundheits- und Entwicklungspolitik, sowie Verbraucherschutz sich in einem Offenen Brief an die Abgeordneten gewandt sowie einen Faktencheck veröffentlicht. BUND, CHEM Trust, ClientEarth, DUH, European Network for Environmental Medicine, Forum Umwelt & Entwicklung, Health and Environment Justice Support, Verbraucherzentrale NRW sowie WECF unterstützten darin das Beschränkungsverfahren der PFAS auf EU-Ebene. Die Gefahren von PFAS müssten anerkannt und ein sicherer Rechtsrahmen für alle Akteure geschaffen werden. Mancherorts überschreite der PFAS-Gehalt im Regenwasser bereits jetzt die gesetzlichen Grenzwerte für Trinkwasser. [jg]

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Die OECD bekräftigt das neue Globale Rahmenwerk für Chemikalien

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Die EU veröffentlicht Kriterien für die wesentlichen Verwendungszwecke