Neustart für ein nachhaltiges Chemikalienmanagement?

Zuerst erschienen im Rundbrief 1/2024 vom Forum Umwelt und Entwicklung

Vom 25.-29. September fand in Bonn die Weltchemikalienkonferenz statt, auf der ein neues Rahmenwerk zum internationalen Chemikalienmanagement verabschiedet wurde: „Global Framework on Chemicals – For a Planet Free of Harm from Chemicals“ (GFC, Globales Rahmenwerk über Chemikalien – Für einen Planeten ohne Schäden durch Chemikalien). Das neue globale Rahmenwerk ersetzt den bisherigen Ansatz und hat deutliche Verbesserungen erreicht, auch wenn das Rahmenwerk keine rechtliche Verbindlichkeit hat und rein freiwillig ist.

Offiziell trug die Bonner Konferenz den Titel „International Conference on Chemicals Management 5“ (ICCM5, Internationale Konferenz zum Chemikalienmanagement 5). Die ICCM war das Entscheidungsgremium des bisherigen Strategischen Ansatzes für ein Internationales Chemikalienmanagement (SAICM, Strategic Approach to International Chemicals Management). SAICM wurde 2006 unter dem Dach des Umweltprogramms der Vereinten Nationen ins Leben gerufen, um bis 2020 einen nachhaltigen Umgang mit Chemikalien zu schaffen und war dabei nicht auf einzelne Stoffe oder Stoffgruppen beschränkt, sondern widmete sich allen Quellen toxischer Belastung. Der breite Geltungsbereich von SAICM sowie der Multistakeholderansatz räumten insbesondere der Zivilgesellschaft viele Handlungsmöglichkeiten ein und machten SAICM zu einem einzigarten Ansatz. Mit den Verhandlungen für ein Folgeabkommen und dem Beschluss des GFC wurde dieser Ansatz erfolgreich weiterentwickelt.

Zähes Ringen um ein neues Abkommen

Bereits 2015 auf der ICCM4 war klar, dass das selbstgesteckte Ziel von SAICM bis 2020 nicht erreicht werden wird. Daher entschieden sich die Stakeholder bis zur ICCM5, die eigentlich für das Jahr 2020 angesetzt war, gemeinsam Empfehlungen für ein Folgeabkommen zu erarbeiten. In diesem sogenannten Intersessionalen Prozess verlief bis 2020 alles nach Plan. Doch mit der Corona-Pandemie konnten sowohl weitere Treffen des Intersessionalen Prozesses als auch die ICCM5 nicht im Jahr 2020 stattfinden. Zwar wurden verschiedene virtuelle Formate geschaffen, allerdings konnten diese keine Präsenzverhandlungen ersetzen. Erst 2022 ging es damit weiter und auch wenn die neue Dynamik für viele motivierend war, so zeigte sich doch, dass zum einen die Pause und zum anderen die großen inhaltlichen Diskrepanzen eine Hürde für die Erarbeitung der Empfehlungen darstellen würden. So mussten drei weitere Treffen vor der für September 2023 angekündigten ICCM5 stattfinden, um einen verhandelbaren Textentwurf für das neue Abkommen zu haben. In der Woche der ICCM5 wurden dann nicht nur der Kerntext des neuen Abkommens zu Ende verhandelt, sondern auch eine neue High-Level-Deklaration, etliche Resolutionen und ein Finanzierungsmechanismus. Auch wenn einige Punkte vordiskutiert wurden, bedeutete dies während der Woche der Weltchemikalienkonferenz eine enorme Menge Arbeit. Durch die hohe Arbeitslast und die vielen parallelen Verhandlungen wirkte der Prozess zu Teilen sehr chaotisch.

Große Erfolge am Ende

Das neue Globale Rahmenwerk wurde schlussendlich in den frühen Morgenstunden des Samstags zu Ende verhandelt und am Vormittag fiel der Hammer. Bis kurz vor Ende war nicht zu hundertprozentig sicher, ob sich nicht noch Regionen oder Stakeholder sperren, da insbesondere der Finanzierungsmechanismus, aber auch das Ambitionslevel bis zuletzt große Streitpunkte bildeten. Obwohl bereits viele Delegierte abreisen mussten, da das Ende der Konferenz ursprünglich für Freitag anberaumt war, wurde das Global Framework on Chemicals schließlich doch erfolgreich verabschiedet.  

Das neue Rahmenwerk besteht aus vier Bausteinen: dem Kerntext des Rahmenwerks, der Bonn-Deklaration, einem dezidierten Fonds zur Unterstützung des Rahmenwerkes und einer Reihe von Resolutionen. Das GFC als Rahmenabkommen gibt 28 Ziele und Handlungsstrategien vor, ohne diese im Detail auszubuchstabieren – ähnlich wie das globale Biodiversitätsabkommen oder das Klimaabkommen. Der Zielkatalog kann als Erfolg gewertet werden, insofern Konkretisierungen gegenüber SAICM geschaffen wurden. Die meisten Ziele orientieren sich an der Zeitlinie der Agenda 2030 und sollen damit bis 2030 erreicht werden. Bei einigen Zielen liegt die Marke jedoch erst im Jahr 2035. Der Zielkatalog bildet eine Bandbreite an Aktivitäten ab. Eine Vielzahl der ambitionierten Ziele wird durch Hintertüren oder übliche Phrasen des UN-Jargons abgeschwächt. Dennoch sind sie Teil des Rahmenwerks und bieten einen Hebel, um Druck auf Staaten und andere Stakeholder auszuüben. Künftig müssen für jedes Ziel Indikatoren festgelegt werden. 

Als weiterer großer Erfolg gilt, dass die unter SAICM geschaffenen Schwerpunktthemen im GFC erhalten bleiben. Da die Schwerpunktthemen unter SAICM keinen geregelten Arbeitsplänen oder Handlungsanweisungen unterlagen und vorrangig das Thema Blei in Farben über verschiedene Projekte adressiert wurde, ist die Erarbeitung ebendieser in der Resolution erhalten. Ein wichtiger Schritt, die Schwerpunktthemen endlich adäquat zu adressieren.

Zum Kerntext gibt es ein Paket mit wichtigen Resolutionen, die beschlossen wurden. So wurde bspw. eine Globale Allianz zu hochgefährlichen Pestiziden gegründet, die im Kern die Nutzung dieser Gruppe von Pestiziden bis 2035 beenden will. Eine weitere Resolution zu Gender und Chemikalien forciert die Erarbeitung eines Gender Action Plans in naher Zukunft. Auch das Monitoring von Gesundheitsauswirkungen durch Chemikalien wurde durch eine Resolution gestärkt.
Alle Resolutionen sind maßgeblich durch die Arbeiten und Anstrengungen von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen entstanden.

High-Level-Commitment – Die Bonn-Deklaration

Die Bonn-Deklaration ersetzt die Dubai-Deklaration unter SAICM und soll zusätzlich zum Kerntext und den Resolutionen vor allem die Verbindlichkeit der verschiedenen Stakeholder festhalten. Bei der Bonn-Deklaration handelt es sich um ein ambitionierteres Werk. Zu Beginn wird deutlich gemacht, dass chemische Verschmutzung die größte Ursache für Krankheiten und vorzeitige Tode ist. Außerdem wird die Wechselwirkung der drei großen Umweltkrisen anerkannt und deren gemeinsame Lösung als Ziel proklamiert. Neben dieser bedeutsamen Grundprämisse verweist die Deklaration auch auf wichtige Schritte wie die Schaffung von nationalen Regularien, die Entwicklung von nicht-chemischen und sicheren Alternativen oder das Bekenntnis, dass Recycling und damit eine Kreislaufwirtschaft nur ohne schädliche Chemikalien funktionieren.

Ein neuer Finanzierungsmechanismus

Die Diskussionen um die künftige Finanzierung waren in den Verhandlungen der Punkt, der sich am schwierigsten gestaltete. SAICM erreichte sein Ziel v.a. aufgrund chronischer Unterfinanzierung nicht. Um die Finanzierungslücke zu schließen, haben in der Vergangenheit NGOs den Vorschlag erarbeitet, eine internationale Abgabe auf die Umsätze aus der Produktion von den 13 Grundchemikalien zu erheben. 0,5 % der Umsätze würden demnach für eine solide Finanzierung reichen[i]. Dieser Vorschlag wurde von der afrikanischen Region in abgeschwächter Form übernommen, setzte sich aber nicht durch. Darüber sollte die Involvierung der Industrie und eine entsprechende Verantwortungsübernahme gewährleistet werden – eine von drei Säulen des integrierten Finanzierungsmechanismus neben dem Mainstreaming und der Schaffung eines dezidierten Fonds. Auch wenn die Beiträge der Industrie nicht konkret geregelt sind, konnte der integrierte Ansatz durchgesetzt werden, inklusive des dezidierten Fonds Dieser wurde von der Bundesregierung mit 20 Millionen Euro ausgestattet und wartet nun darauf, dass weitere Geberländer einzahlen. Dass der Fonds geschaffen wurde, bedeutet im Vergleich zu SAICM eine erhebliche Verbesserung und einen großen Verhandlungserfolg, auch wenn dieser wie auch der restliche Finanzierungsmechanismus rein freiwillig bleiben.

Nächste Schritte

Das neue Abkommen wurde in Bonn beschlossen und ist in Kraft getreten. Damit ist der Prozess jedoch nicht abgeschlossen, sondern geht in die nächste Arbeitsphase über. Für 2026 ist die nächste internationale Chemikalienkonferenz angesetzt. Die Beschlüsse der Resolutionen werden sicher nicht in Gänze umgesetzt, dennoch müssen wichtige Schritte bis dahin unternommen sein. Neben der Arbeit mit dem neuen Rahmenwerk braucht es weiterhin dringend eine Verankerung des sicheren Umgangs mit Chemikalien auf der politischen Agenda. Die chemische Verschmutzung muss genauso viel Aufmerksamkeit erfahren wie der Klimawandel und der Biodiversitätsverlust, weil die drei Krisen sich nur gemeinsam lösen lassen.

Trotz aller Erfolge und Verbesserungen muss kritisch betrachtet werden, dass ein rein freiwilliger Ansatz, der Lücken und Ausweichmechanismen bietet, die zunehmende Belastung von Mensch und Umwelt mit Chemikalien und Abfällen nur bedingt mindern kann. Gegen verbindliche Vorgaben sperren sich jedoch mehrere Staaten. 


[i] CIEL & IPEN (2020): Financing the sound management of chemicals beyond 2020: options for a coordinated tax.

 

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