Pestizide: EU genehmigt in Endlosschleife
Eine Übernahme der EU-Umweltnews des DNR:
Eine Ende Mai veröffentlichte neue Analyse im Auftrag des Umweltinstituts München deckt auf: Die Europäische Union verlängert systematisch die Genehmigungen für gefährliche Pestizide. Zahlreiche giftige Wirkstoffe bleiben dadurch im Einsatz, obwohl ihre Zulassung bereits abgelaufen ist und keine aktuelle Risikoprüfung vorliegt. Ermöglicht werde diese Praxis durch ein gesetzliches Schlupfloch in der EU-Pestizid-Verordnung: die sogenannte „technische Verlängerung“. Diese ist eigentlich als Ausnahme gedacht, werde von den EU-Behörden aber systematisch genutzt, um Genehmigungen provisorisch zu verlängern. Statt Ausnahme sei die technische Verlängerung inzwischen eher die Regel, wie der Bericht des Pestizidexperten Lars Neumeister zeigt.
„Technische Verlängerung“ als Schlupfloch
Die Zahlen der ausgewerteten Daten sind prägnant: Seit 2011 gab es insgesamt über 1300 technische Verlängerungen für Pestizidwirkstoffe. Auf EU-Ebene waren im Jahr 2024 knapp 70 Prozent der chemisch-synthetischen Wirkstoffe nur auf Basis technischer Verlängerungen zugelassen. Im Jahr 2023 wurden somit in Deutschland 88 Prozent der abgesetzten Menge an Pestiziden ohne aktuelle Risikobewertung verkauft. Unter den verlängerten Pestiziden befinden sich auch hochgefährliche Stoffe wie Flufenacet, Thiacloprid und Pendimethalin sowie Pestizide, die aufgrund ihrer Risiken für Mensch und Umwelt nicht mehr zulassungsfähig seien.
Das eigentliche Zulassungsverfahren sieht vor, dass Pestizide nur dann in den EU-Mitgliedstaaten verkauft werden dürfen, wenn der eingesetzte Wirkstoff zuvor auf EU-Ebene genehmigt wurde. Die zentrale Behörde für das Zulassungsverfahren ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA). Die Genehmigungen der Stoffe sind in der Regel zeitlich befristet: Erstgenehmigung für zehn Jahre, „Low Risk“-Wirkstoffe bis zu 15 Jahre und „Substitutionskandidaten“ für sieben Jahre. „Grundstoffe“, die als unbedenklich gelten und nicht als Pestizide vermarktet werden, sind unbefristet zugelassen. Spätestens drei Jahre vor Ablauf der Genehmigung müssen die Herstellerfirmen einen Antrag auf Verlängerung stellen. Da die EU-Behörden diese Bearbeitungszeit von drei Jahren häufig nicht einhalten, nutzen sie die „technische Verlängerung“ nach Artikel 17 der EU-Pestizid-Verordnung: Eine Genehmigung darf dann auch ohne vorliegende aktuelle Risikoprüfung erteilt werden.
Umweltinstitut: Gefährliche Pestizide vom Markt nehmen
Die Herausgeber des Berichts kommen zum Fazit, dass das Instrument der technischen Verlängerung von den EU-Behörden „massiv missbraucht“ werde. Dies sei jedoch kein bloßer Verwaltungsfehler, sondern „Ausdruck eines politischen und institutionellen Defizits“. Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft des Umweltinstituts München kommentierte die Auswertung mit den Worten: „Technische Verlängerungen dürfen nicht die Regel sein. Gefährliche Pestizide ohne Prüfung gehören vom Markt!“. Um das EU-Vorsorgeprinzip sicherzustellen sei eine konsequente Neuausrichtung der Pestizidzulassung nötig: die Bewertungsfrist von drei Jahren müsse verbindlich gelten, ein Anspruch der Hersteller auf unbegrenzte Weiterzulassung eines Wirkstoffes sei rechtlich auszuschließen, die Bewertungsverfahren müssten reformiert und die Behörden personell und finanziell gestärkt werden. Langfristig sei zudem ein schrittweiser, EU-weit koordinierter Ausstieg aus chemisch-synthetischen Pestiziden unerlässlich, so das Umweltinstitut. [bp]