Auf dem Weg zu einer Lösung?
Wo wir im internationalen Chemikalienmanagement stehen
Vor anderthalb Jahren wurde in Bonn ein neues Rahmenwerk für das internationale Chemikalien-management verabschiedet. Seitdem ist einiges passiert, doch nur weniges, was wirklich auf das Konto für einen besseren Schutz von Mensch und Umwelt einzahlt. Derzeit liegt der Fokus auf dem Schließen von Lücken im Rahmenwerk. Es gilt aber, dringend in die Umsetzung zu kommen.
Nach zähen Verhandlungen und Verzögerungen bedingt durch die Corona-Pandemie haben die internationale Staatengemeinschaft sowie zahlreiche Stakeholder aus Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, Industrie und Wissenschaft im September 2023 ein neues globales Rahmenwerk für den Schutz vor Chemikalien verabschiedet. Das Global Framework on Chemicals – For a Planet Free of Harm from Chemicals and Waste (kurz GFC, Globales Rahmenwerk über Chemikalien – Für einen Planeten frei von Schäden durch Chemikalien und Abfälle) ist das einzige Rahmenwerk, das sich mit allen Quellen von toxischen Stoffen befasst. Als Nachfolger des Strategic Approach to International Chemicals Management (SAICM, Strategischer Ansatz für ein Internationales Chemikalienmanagement), der 2020 ausgelaufen ist, ist es ein Multi-Stakeholderprozess und bezieht unterschiedliche Politikfelder ein, vom Arbeits- über den Gesundheits- bis zum Umweltschutz.
Trotz seiner Freiwilligkeit war der Abschluss in Bonn ein Erfolg. Neben dem Kerntext mit 28 Zielen und übergeordneten Handlungsfeldern wurden Resolutionen, ein Fonds und eine High-Level-Deklaration verabschiedet. Dennoch blieben offene Punkte, die bis zur ersten GFC-Konferenz 2026 weiterentwickelt werden müssen. Doch der politische Schub aus Bonn und aus den vorhergehenden Verhandlungen konnte nicht eins zu eins in die Arbeit mit dem neuen Abkommen übertragen werden.
Neues Geld für das Chemikalienmanagement
Am schnellsten begannen die Arbeiten zum GFC-Fund zur Unterstützung und Umsetzung des GFC, bei dem Deutschland der größte Geldgeber ist. Bereits im April 2024 kam ein Vorstand des Funds zusammen. Dies war der erste Schritt, damit die Mittelvergabe organisiert werden kann. Im Herbst 2024 begann die erste Ausschreibung für die Mittel. Über 150 Projekte sollen eingegangen sein. Manko beim Fund ist, dass sich nur große NGO-Netzwerke oder Staaten bewerben können. Das heißt, für kleinere zivilgesellschaftliche Projekte, die unter SAICM einen wesentlichen Beitrag zu den wenigen Erfolgen des strategischen Ansatzes ausmachten, gibt es nur Geld, wenn Organisationen Projekte zusammen mit Staaten und Regierungen durchführen. Das ist insbesondere in autoritären Staaten ein Problem. Ob alle eingereichten Projekte gefördert werden können, ist derzeit nicht bekannt. Eine zweite Förderrunde soll noch 2025 starten. Aber auch der Fund ist begrenzt. Die Einnahmen basieren auf freiwilligen Mitteln von Geberländern. Wenn diese Einnahmen nicht gesteigert werden, wird der Fund nur einen kleinen Beitrag leisten können.
Fortschritte messbar machen
Die derzeit umfangreichsten Arbeiten im Rahmen des GFC betreffen die Entwicklung von Indikatoren und einer Struktur zur Messung von Fortschritt und Erfolg. Bisher fehlen solche Indikatoren vollständig im Rahmenwerk. Auf der Weltchemikalienkonferenz wurde daher ein Mandat verabschiedet, das die Ausarbeitung von Indikatoren für die 28 Ziele sowie für die übergeordneten Handlungsfelder vorsieht. Zudem sollen sogenannte High-Level-Indikatoren entwickelt werden, die die negativen Auswirkungen von Chemikalien auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt abbilden. Weitere Indikatoren können ergänzt werden, sofern dies als notwendig erachtet wird.
Hierfür wurde eine virtuelle, offene Arbeitsgruppe mit mehreren Unterarbeitsgruppen eingerichtet. Als Grundlage für viele Indikatoren dient ein Arbeitspapier, das bereits über 200 Indikatoren listet, welche in anderen Abkommen verwendet werden oder durch Expert:innenkonsultationen entwickelt wurden. Eine erste Auswahl aus diesen Indikatoren zu treffen und diese sinnvoll zu ergänzen, ist aktuell die vorrangige Aufgabe. Die ersten Indikatoren gelten mittlerweile als gesetzt, viele fehlen noch. Ein grundsätzlicher Konflikt besteht darin zu definieren, wie viele Indikatoren es geben soll und wie passgenau diese für die Ziele sind. Ist es einerseits der Wunsch, die Zahl übersichtlich und damit auch den Aufwand hinter der Erfassung der Indikatoren handhabbar zu halten, gibt es andererseits den Anspruch, die Indikatoren umfassend zu gestalten, sodass alle Aspekte abgedeckt und erfasst werden können. Problematisch stellt sich dabei an vielen Stellen die Datenlage heraus. Für viele Aspekte, die den Fortschritt gut messbar machen würden, gibt es zu wenige Daten, die Erhebung ist aufwendig und vor allem im globalen Rahmen kaum leistbar. Es gibt nur für wenige Chemikalien ausreichend und stetig aktualisierte Zahlen. Deren Auswirkungen bspw. auf die menschliche Gesundheit sind noch schwerer zu erfassen.
Implementierungprogramme für die Wirtschaft und Best Practice
Einen weiteren aktuellen Arbeitsschwerpunkt bilden die Implementierungsprogramme. Auf der Weltchemikalienkonferenz wurde die IOMC – eine übergreifende internationale Organisation zur Förderung des Chemikalienmanagements – eingeladen, drei Implementierungsprogramme zu entwerfen. Zwei wurden bereits vorgestellt und unter umfangreicher Stakeholderbeteiligung inklusive Präsenzworkshops weiterentwickelt. Dabei legt das erste Implementierungsprogramm den Fokus auf Wirtschaft und Industrie und die Frage, wie diese zu einem besseren Chemikalienmanagement beitragen können. Das zweite Programm legt den Fokus darauf, nationale Kapazitäten zu stärken. Dies basiert nach dem aktuellen Entwurf vor allem auf dem Teilen von vorhandenem Wissen und guter Praxis.
Auf dem Weg zum Phase-out hochgefährlicher Pestizide
Einen großen Erfolg der Weltchemikalienkonferenz stellt Resolution 11 dar, welche die Gründung einer Globalen Allianz zu hochgefährlichen Pestiziden anstieß. Eine solche Allianz wäre ein Forum, in dem sich interessierte Stakeholder zusammenschließen und zusätzliche Impulse und Aktivitäten initiieren. Das Hauptanliegen der Globalen Allianz ist es, das Ziel A7 zu unterstützen. Nach diesem Ziel soll bis 2035 die Nutzung von hochgefährlichen Pestiziden schrittweise eingestellt werden. Hochgefährliche Pestizide sind solche, die auch unter normalen Anwendungsbedingungen schwere oder irreversible Gesundheits- oder Umweltschäden verursachen und von hoher akuter und chronischer Toxizität sind. Weltweit gibt es viele Bemühungen, diese Gruppe der Pestizide strenger zu regulieren. Auch andere Ziele des GFC zielen indirekt darauf ab, dass diese Pestizide nicht mehr länger genutzt werden.
Fünf UN-Einheiten wurden eingeladen, die Schirmherrschaft für die Globale Allianz zu übernehmen. Auch hier konnte das Momentum der Weltchemikalienkonferenz nicht aufrechterhalten werden. Offenbar konnte keine Einigung über die Modalitäten und Leitung erzielt werden. Nach langer Stille gab es im April endlich ein Auftakt-Webinar, und es wurde ein Entwurf vorgestellt, wie eine solche Allianz aufgebaut sein kann. Konkrete Aktivitäten wurden noch nicht benannt. Nun soll es eine umfassende Stakeholder-Beteiligung und weitere Veranstaltungen geben. Final ins Leben gerufen wird die Allianz wohl erst zur internationalen Weltchemikalienkonferenz Ende 2026. Damit wären dann drei wichtige und wertvolle Jahre verstrichen, ohne dass es wirkliche Fortschritte zum Schutz vor den hochgefährlichen Pestiziden gab.
Gender Action Plan
Chemikalien wirken im menschlichen Körper und haben negative Auswirkungen auf die Gesundheit, einige Chemikalien gelten als hormonwirksam, das heißt sie beeinflussen den Hormonhaushalt im Körper. Dabei wirken Chemikalien unterschiedlich entlang der Geschlechter. Biologische und soziale Faktoren führen dazu, dass Frauen* wesentlich stärker von den negativen Auswirkungen von Chemikalien betroffen sind. Um dem ausreichend Rechnung zu tragen, wurde Resolution 4 zum Gender Mainstreaming im Chemikalienmanagement beschlossen. Zentraler Bestandteil ist ein Gender Action Plan. Dieser wird derzeit erarbeitet. Die Ausarbeitung des Plans hinkt jedoch hinterher, eigentlich sollte es bereits einen Entwurf geben. Dieser wurde aber noch nicht veröffentlicht.
Besondere Bemühungen notwendig
Unter SAICM gab es acht verschiedene Fokusthemen, sogenannte Emerging Policy Issues (dringende politische Handlungsfelder) und Issues of Concern (dringende Belange). Unter anderen wurden hier die Ewigkeitschemikalien PFAS, Blei in Farben oder Arzneimittel in der Umwelt bearbeitet. In den Verhandlungen zum GFC stand zur Debatte, diese Fokusthemen nicht fortzuführen. Auf der Bonner Konferenz konnte man sich aber darauf verständigen, die bestehenden Fokusthemen beizubehalten und diese sowie die dazu erfolgte Arbeit zu evaluieren. Auf der kommenden Konferenz soll dann entschieden werden, welche der Fokusthemen behalten werden, wie Arbeitspläne für sie aussehen können und welche Kriterien es für die Aufnahme neuer Fokusthemen geben soll.
Ausblick
Im Juni 2025 tagt die erste Open-Ended-Working-Group (offene Arbeitsgruppe) des GFC statt. Diese stellt einen wichtigen Meilenstein in der Arbeit unter dem GFC dar. Hier sollen die ersten Ergebnisse aus den verschiedenen Prozessen präsentiert und weiterentwickelt werden und vor allem ein Arbeitsplan für die nächsten anderthalb Jahre beschlossen werden. Ende des Jahres 2026 soll die erste internationale Konferenz unter dem GFC stattfinden. Hier werden dann die Arbeiten der Zwischenzeit offiziell beschlossen und die Lücken im GFC geschlossen. Bis dahin bleibt aber noch einiges zu tun. Und vor allem bleibt zu hoffen, dass dann auch endlich erste Maßnahmen umgesetzt werden.
Dieser Artikel erschien zuerst im Rundbrief 2/2025 “Wechselkurs”.